„Mutterschaft ist das banalste und faszinierendste Thema überhaupt. Rachel Cusk seziert es in Lebenswerk am eigenen Leib und erschließt diesen eigentlich unfassbaren Zustand auf eine so ehrliche und unsentimentale Weise, dass sie damit zur »meistgehassten Schriftstellerin Großbritanniens« (The Guardian) geworden ist.“ Der Klappentext zu „Lebenswerk. Über das Mutterwerden.“ von Rachel Cusk hatte mich sofort neugierig gemacht. Und nach der Lektüre kann ich bestätigen: passend zum Thema hinterlässt auch das Buch gemischte Gefühle – zwischen Bestätigung und Befremden. Auf jeden Fall eine Lektüre, die nachwirkt.
Mythos Mutterschaft
Gleich zu Beginn von „Lebenswerk“ zitiert Cusk die amerikanische Dichterin und Feministin Adrienne Rich: „Alles menschliche Leben auf diesem Planeten wird von der Frau geboren“ (S. 7). Sie verdeutlicht von Anfang an die große Bedeutung der Rolle als Mutter und dass Mutterwerden eben nichts ist, was nebenbei passiert: „Ich wusste nicht, wie sehr die Erfahrung von Schwangerschaft und Geburt unsere Konzepte von der Gleichberechtigung der Geschlechter herausfordert. Die Entbindung scheidet nicht bloß Frauen von Männern; sie scheidet auch die Frauen von sich selbst, indem sie ihr Lebensverständnis umstülpt.“ (S. 10)
Dieses Umstülpen wird auch sprachlich stark verdeutlicht. Zuweilen wählen Autorin bzw. Übersetzerin ein seltsam-anmutendes, distanziertes Passiv („In meinem Fall wurde die Entscheidung getroffen, die überlieferte Familienstruktur gänzlich einzureißen.“, S. 11) – möglicherweise als Symbol für den Kontrollverlust, der mit dem Mutterwerden einhergeht. Zudem werden immer wieder drastische und brutale Bilder gewählt. Es ist von Folter und Hölle die Rede, Cusk stellt den Vergleich zwischen der Geburt ihres Kindes und Erwartungen an ihre Ermordung an (vgl. S. 25) und beschreibt Elternschaft als „militärisch“ (vgl. S. 134f.). Ihr Ton ist sarkastisch, schonungslos – keineswegs verklärt, auch wenn sie durchaus immer wieder versöhnliche Worte findet: „… und das (…) ist Mutterschaft; es braucht nicht mehr, als da zu sein.“ (S. 59)
Interessant sind auch die literarischen Anspielungen – auf keine Geringeren als Charlotte Brontë, Flaubert, Proust oder Tolstoi.
Transformation der Frau
Immer wieder thematisiert Rachel Cusk die Verwandlung, die mit einer zur Mutter gewordenen Frau einhergeht – mit Beginn der „Schwangerschaft als Grundausbildungslager“ (S. 16). Sie spricht schonungslos-offen darüber, zwischen welchen Bandbreiten der Persönlichkeit – wie etwa „Märtyrer und Teufel“ (S. 11) – sich eine Mutter zu bewegen lernt und thematisiert immer wieder eine Transformation des Ich. Sie stellt die These auf, dass während der Geburt des Kindes ein „fundamentaler Bestandteil des Ich [der Mutter] entfernt wird“ (S. 19) und erlebt zwei Wochen später doch eine Symbiose, wenn sie schreibt, dass es ihr „anscheinend gelungen [ist] (…), gleichzeitig ich und Mutter zu sein.“ (S. 46f.)
Fazit
Rachel Cusk räumt in ihrer drastischen Darstellung der verschiedenen Facetten, die das Muttersein ausmachen, auf mit einem verklärenden Idealbild der Mutterschaft, das häufig in Literatur und Kursen zur Geburtsvorbereitung zu finden ist. Es ist ein sehr subjektiver Bericht, der als „Roman“ ausgewiesen wird, aber auch als Essay verstanden werden kann. Manchmal scheint der rote Faden zu fehlen – eine klare stringente Linie durch die Thesen, Gedankenfetzen und Literaturbeispiele. Der Leser wird nicht an die Hand genommen, sondern konfrontiert. Zugegebenermaßen schafft es Cusk durch diese Zerrissenheit des Textes aber auch, den Mythos Mutterschaft zu veranschaulichen, der Liebe und Zerstörungsmacht genauso beinhaltet, wie den Versuch, sich loszulösen und doch untrennbar mit dem Kind verbunden zu sein. Sich damit auseinanderzusetzen erfordert Mut – bei der Autorin und ihren Lesern.
Rachel
Cusk: Lebenswerk. Über das Mutterwerden. Roman. Aus dem Englischen von Eva Bonné. | Suhrkamp | 2019 | 180 S. | E-Book | ISBN: 978-3-518-75667-6
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