„Ein fulminanter Roman über eine kühne Frau, die ihrer Zeit weit voraus war.“, heißt es im Klappentext des Debütromans „Die Frau, die den Himmel eroberte“ von Vanessa Giese. Und nach der Lektüre kann ich bestätigen, dass diese Beschreibung sehr zutreffend ist. Von Anfang bis Ende besticht die Romanbiografie über die Flugpionierin, Erfinderin und Unternehmerin Käte Paulus durch die gelungene Verflechtung von Fiktion und historischen Ereignissen. So ist Unterhaltung garantiert – ganz nebenbei lernt man aber auch etwas über die Luftfahrt im 19. und beginnenden 20. Jahrhundert.
Eine Frau der Bewegung
1889 sieht die junge Schneiderin Katharina Paulus, genannt Käte, zum ersten Mal dem bekannten Ballonfahrer Hermann Lattemann beim Aufstieg und anschließenden Fallschirmabsprung zu. Sie ist fasziniert. Kurze Zeit später landet Hermann Lattemann buchstäblich vor ihren Füßen in einem Vorgarten. Käte und Hermann verlieben sich und Kätes Schicksal ist besiegelt. Zunächst übernimmt sie die Näharbeiten für Hermanns Ballons, entwickelt aber zunehmend den Wunsch, auch selbst in die Luft aufzusteigen. So wird aus der einfachen Näherin die Ballonfahrerin, Luftfahrtpionierin und Unternehmerin Katharina Paulus.
Die Romanbiografie „Die Frau, die den Himmel eroberte“ von Vanessa Giese beginnt am Ende von Käte Paulus‘ Leben. Die Ich-Erzählerin blickt auf die Vergangenheit zurück und nutzt als alte Frau die letzte Kraft, um ihr eigenes Leben zu rekapitulieren. Der Autorin gelingt es dabei hervorragend, Käte Paulus zum Leben zu erwecken und den beeindruckenden Weg einer starken Frau nachzuzeichnen, die trotz diverser Schicksalsschläge und Entbehrungen im Krieg unbeirrt an ihren Zielen festhält, sich immer wieder neu ins Leben stürzt und niemals aufgibt.
Authentische Figuren
Von Anfang an weckt die Zeichnung der Protagonistin große Sympathien. Nicht nur sie, sondern auch die anderen Figuren haben etwas rundum Liebenswertes. Und auch wenn, wie die Autorin selbst sagt, vieles ihrer Phantasie entsprungen ist, wirken Käte und auch ihre Wegbegleiter in ihren Ansichten, Charaktereigenschaften und Wesenszügen sehr authentisch.
Wissensvermittlung nebenbei
Wie nebenbei gelingt es der Autorin, historische Details in die Geschichte zu verweben. So erfährt man etwas über damals aktuelle Innovationen wie Telefonapparate, Automobile und Flugmaschinen, die Auswirkungen des Ersten Weltkriegs, aber auch Diskussionen um Frauenrechte. Interessant sind Dialoge wie dieser: „Glauben Sie, Herr Actionarius, dass eine Frau ebensolche Kunststücke vollbringen kann wie dieser Hermann Lattemann?“, fragt Käte einen Herrn, als sie zum ersten Mal einem Ballonaufstieg zusieht. „Wieso sollte sie das tun?“ (S. 28), entgegnet ihr männlicher Gesprächspartner. Eine Antwort, die in heutigen Zeiten befremdlich wirkt.
Poetisch-philosophische Sprache
Auch sprachlich überzeugt der Roman. Viele Textpassagen muten nahezu poetisch und philosophisch an. Z. B. diese Stelle: "Doch die meisten Menschen sind Menschen des Stillstands, nicht der Bewegung. Sie wollen sein, nicht werden." (S. 76) Oder diese: "Aber es gibt kein größeres Geschenk, als der zu werden, der man sein will." (S. 80)
Rührend ist auch die Beschreibung der Bedeutung der Fallschirmproduktion, die Käte während des Kriegs aufzog: „Der Takt der Produktion gab den Takt meines Herzens vor und hielt mich am Leben.“ (S. 377)
Fazit
Mit ihrer Romanbiografie ist Vanessa Giese ein in sich stimmiges und rundum überzeugendes Erstlingswerk gelungen. Wer gerne eine Zeitreise zur Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert unternehmen und mehr über das Leben der willensstarken Luftfahrtpionierin Käte Paulus erfahren möchte, wird nicht enttäuscht sein. Auch der Unterhaltungsfaktor ist durch den dramaturgisch geglückten und spannenden Handlungsaufbau garantiert. Einsteigen und abheben – das gilt auch für die Lektüre.
Vielen Dank an den Insel Verlag und Lovelybooks für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Vanessa Giese: Die Frau, die den Himmel eroberte | Insel Verlag | 12. September 2021 | 400 S. | Hardcover | ISBN: 978-3-458-17935-1
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