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"Blauschmuck" von Katharina Winkler

 

 

Eher zufällig bin ich auf Katharina Winklers Roman „Blauschmuck“ gestoßen. Eine sehr bewegende Geschichte von Familienehre, Unterdrückung und häuslicher Gewalt, die auf wahren Begebenheiten basiert und in dichter Sprache sehr gelungen erzählt wird.

 

 

 

 

 

„Die Ehre wächst mir über den Kopf“

 

„Wie eine Kuh wirft meine Mutter ihre Kinder“ (S.8). Mit diesem nüchternen ersten Satz zieht Katharina Winkler ihre Leser direkt in die Handlung rund um Filiz Sahin. Sie wächst in einem kurdischen Dorf auf und heiratet mit fünfzehn den etwas älteren Yunus – gegen den Willen ihres Vaters. Sie träumt von Freiheit und Autonomie und einem gemeinsamen Leben im Westen. Doch schnell platzt dieser Traum: Filiz wird vom Ehemann misshandelt, muss sich dem Regiment der Schwiegermutter – auch als „Spinne“ bezeichnet – unterwerfen und trotz Schwangerschaft den Ramadan befolgen und harte Feldarbeit leisten.

 

Mit Gewalt versucht Yunus Filiz in seine Vorstellung einer Ehefrau zu zwängen: „Yunus schlägt mich. Er muss mir das Kind aus den Knochen schlagen. Das Mädchen aus den Gedärmen. Er muss mir die Ehefrau ins Gehirn prügeln.“ (S. 69)

Ohne Erfolg versucht Filiz, sich des Kindes im Bauch zu entledigen. Aber auch Säcke, die sie sich auf den Bauch wirft, vermögen nicht, es zu töten.

Als Halil, der erste Sohn da ist, soll er die Großmutter „Mama“ nennen und Filiz „Tante“. Es dauert nicht lange, bis Filiz zwei weitere Kinder zur Welt bringt.

 

Hoffnung Österreich

Irgendwann findet Yunus Arbeit in Österreich und Filiz und die Kinder reisen nach – mit großen Erwartungen: „Österreich ist wie Deutschland, und Deutschland ist wie Amerika. Und dort geht die Sonne auf.“ (S. 107)

Zunächst dürfen sie einen Monat lang ihre neuen „20qm Hoffnung“ nicht verlassen. Später ziehen sie in einen ehemaligen Kuhstall. Yunus verdient gut durch Immobilienkauf und -verkauf, Halil geht zur Schule und die jüngere Selin in den Kindergarten.

Doch der Schein trügt. Als eine Arzthelferin Filiz‘ blaue Flecken – ihren „Blauschmuck“ – entdeckt, rät sie ihr, ins Frauenhaus zu gehen, was Filiz aus Angst nicht tut. Schließlich plant Filiz, mit ihren Kindern zu fliehen … 

 

Ehre über alles

Immer wieder geht es in Winklers Erzählung um die Ehre: „Die Ehre steht über allem, sagt Vater. (…) Wir essen sie, und die Frauen säugen ihre Kinder damit. Die Ehre ist meinem Vater das Wichtigste. Wichtiger als wir Kinder. Oder Mutter. Die Ehre steht über allem, sagt Vater. Die Ehre wächst mir über den Kopf.“ (S. 13)

Wie sehr dieses Denken internalisiert ist, zeigt sich auch in Filiz‘ Mutter. Auch sie wird bei einem Besuch vom Schwiegersohn geschlagen, dennoch rät sie ihrer Tochter beim Abschied, sie müsse ihrem Mann mehr Liebe geben, um ihn nicht zu verlieren.

 

Poetische Verdichtung

Bemerkenswert ist die poetische, verdichtete Sprache, die die Autorin wählt. In kurzen Sätzen vermag sie alles, was notwendig ist, zu sagen: „Beim Essen sitzen wir stumm. So wie Vater uns will.“ (S. 12) Dabei findet sie auch immer wieder schöne Metaphern – „Der Schnee liegt auf den Dächern wie gebackenes Eiklar.“ (S. 47) – und Sätze mit Sprengkraft: „Du schlägst mich tot, aber du kommst mir nicht nahe.“ (S. 184)

 

Fazit

Am Schluss wird berichtet, was aus Familie Sahin geworden ist. Die Tatsache, dass der Roman auf wahren Begebenheiten beruht und die Geschichte realer Personen erzählt, hinterlässt nach dem Lesen eine noch größere Beklemmung als dies auch eine fiktive Erzählung erreicht hätte. Fast schon fühlt man den „Blauschmuck“ am eigenen Leib.

 

 

Katharina Winkler: Blauschmuck. | Suhrkamp Verlag | 2017 | 186 S. | E-Book | ISBN: 978-3-518-74533-5

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