Vor mehreren Jahren durfte ich ein Schreibseminar bei Markus Orths an der Bundesakademie für Kulturelle Bildung in Wolfenbüttel besuchen. Ich konnte viel lernen und habe mich daher auf „Mary & Claire“, das neue Werk des Autors, gefreut. Markus Orths entführt uns auf die Spuren der „Frankenstein“-Autorin Mary Shelley, ihrer Halbschwester Claire Clairmont und der Männer in ihrem Leben: Percy und Lord Byron. Eine sehr lohnenswerte Lektüre!
Vom Schreiben, Lieben und Leben
„Mary & Claire“ erzählt die Geschichte von Mary Shelley, der späteren Autorin des bekannten Romans „Frankenstein“ und ihrer Halbschwester Claire Clairmont. Beide sind verliebt in den Dichter Percy Shelley, Marys späteren Ehemann. Als Mary ihrem Vater die Liebe zum bereits verheirateten Percy offenbart, wird sie eingesperrt. Claire fungiert als Überbringerin der geheimen Botschaften zwischen den beiden Liebenden. Kurze Zeit später entfliehen die Drei allen gesellschaftlichen Konventionen und reisen zu dritt von London nach Frankreich und in die Schweiz, woraufhin sie von ihren Familien verstoßen werden. Aufgrund finanzieller Engpässe sind sie allerdings bald gezwungen, wieder nach England zurückzukehren.
Später lässt sich Claire auf eine ungleiche Beziehung mit dem Schriftsteller Lord Byron, genannt LB, ein, den sie zutiefst verehrt. Sie fädelt ein Treffen mit ihm am Genfer See ein, zu dem sie auch Mary und Percy mitnimmt. Die vier sowie Byrons Leibarzt Polidori verbringen viele gemeinsame Abende. In einer Gewitternacht ruft Byron im Opiumrausch zum Wettbewerb auf: „Wer von uns schreibt die schaurigste Geschichte?“ Für Mary und Claire ist anschließend nichts mehr wie zuvor.
Atmosphärische Sprache
Schon der Einstieg mit der Szene am Friedhof ist originell und Sätze wie „Es ist ein fröhlicher Friedhof (…)“ (S. 7) oder Bilder wie „Eine Mütze Moos wächst in die Zeit: So wird dem Grabstein nicht kalt am Kopf.“ (S. 8) schaffen eine besondere Atmosphäre.
Überhaupt ist die sprachliche Ausgestaltung sehr gelungen. Gerade zu Beginn fallen die kurzen, fast atemlosen Sätze auf, mit denen Fragmente aus Marys Kindheit beschrieben werden. Später, als Percy ins Leben von Mary und Claire tritt, werden auch die Sätze länger und spiegeln die schwärmerischen Gefühle der jungen Mädchen.
Einsamkeit und Schreiben
Immer wieder wird die Einsamkeit thematisiert – in ihrem Gegensatz zum Alleinsein. Mary, Claire und Percy beflügeln sich einerseits gegenseitig und suchen die Gesellschaft der anderen, um dem Alleinsein zu entgehen, suchen aber auch immer wieder die produktive, schöpferische Einsamkeit, aus der heraus sie etwas erschaffen und die Kraft zum Schreiben nehmen. Überhaupt geht es immer wieder ums Schreiben und die Werke der Protagonisten.
Gleich von Anfang an wird der hohe Stellenwert, den das Schreiben in der Familie von Mary einnimmt, deutlich: „Die Zeit des Schreibens ist heilig …“ (S. 11) lautet eine Regel bei den Godwins. Bis zum Mittag darf der Vater nicht in seinen Gedanken gestört werden. Aber auch Marys verstorbene Mutter, die Schriftstellerin Mary Wollstonecraft, ist der Tochter ein Vorbild. Mary will ebenso schreiben, selbst wenn es heißt, dass Mädchen das nicht können. Und sie fühlt sich auch ein Stück weit dazu verpflichtet – starb ihre Mutter doch im Wochenbett kurz nach ihrer Geburt und wurde so daran gehindert, weitere Werke zu verfassen.
Die Liebe zu den Worten, die Lust am Fabulieren ist auch das, was Mary, Claire und Percy verbindet. Und auch auf der Flucht aus London dürfen Bücher nicht fehlen: „Bücher, dachte sie, sind Kleider für den Geist!“ (S. 96)
Fazit
Markus Orths ist mit „Mary & Claire“ ein stimmungsvoller, atmosphärischer Roman gelungen, der Geschichte lebendig werden lässt. Mit liebevollem Blick auf seine Figuren erzählt er die Geschichte von Mary Shelley und Claire Clairmont, in der es um die Literatur, Liebe und nicht weniger als das Leben selbst geht. Eine Lektüre, die man sich nicht entgehen lassen sollte.
Vielen Dank an den Carl Hanser Verlag und Lovelybooks für die Bereitstellung des Rezensionsexemplars!
Markus Orths: Mary & Claire. | Carl Hanser Verlag | 2023 | 304 S. | Gebundene Ausgabe | ISBN: 978-3-446-27621-5
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